Von Krankheit als Mittel zum Zweck
Posted by Anjuly Rudolph on 1565 times viewed

Von Krankheit als Mittel zum Zweck

Von Krankheit als Mittel zum Zweck

Ein Reha-Aufenthalt letztes Jahr führte mir vor Augen, welche Bedeutung Gesundheit und Krankheit als die zwei Seiten ein und derselben Medaille für uns alle haben. Welche Einstellung wir dazu haben, bestimmt maßgeblich unseren Genesungs-Weg.

Instrumentalisierung von Leid

Als ich mich mit der Frage auseinandersetzte, was mich und meine Mit-Patienten in die Reha geführt hatte und mit welcher Zielsetzung und welchem Anspruch wir angetreten waren, wurde mir bewusst, dass viele von uns – mich eingeschlossen – ihre Krankheit nicht nur als Leid erfahren, sondern auch als Instrument benutzen.

Ich habe mich gefragt, welche emotionalen Bedürfnisse durch die Krankheit bedient werden und ob sie nicht manchmal einfach Mittel zum Zweck ist. Wenn jemand eine Reha beantragt, um den Nachweis zu erbringen, dass er nicht mehr arbeitsfähig ist und berentet oder umgeschult werden muss, ist der Zweck der Maßnahme jedenfalls nicht die Genesung. Hier ist die Krankheit von zentraler Bedeutung und es wäre schädlich für die eigenen Interessen, sie zu beseitigen.

Können wir uns ein Leben ohne Krankheit überhaupt vorstellen? Oft gehen wir davon aus, dass wir die Krankheiten unserer Eltern sowieso erben und bringen eine entsprechende Erwartungshaltung mit. Damit ist das Leiden im Grunde genommen vorprogrammiert – es erscheint uns als unausweichliche Begleiterscheinung des Lebens.

Eine weitere traurige Wahrheit unserer heutigen Leistungsgesellschaft ist, dass wir uns keine Zeit für Erholung gönnen. Für viele Menschen ist daher eine Krankheit die einzige Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und den Pflichten des Alltags zu entfliehen, ohne von einem schlechten Gewissen erdrückt zu werden. Auch hier kommt uns die Krankheit also gelegen, weil sie uns als die einzige Möglichkeit erscheint, uns Selbstfürsorge zu erlauben.

Krankheit und Aufmerksamkeit

„Was wäre ich ohne mein Drama?" Fragt Byron Katie und auch ich habe mir diese Frage gestellt. Dafür bin ich ein Stück in die Vergangenheit gereist und habe festgestellt, dass ich, schon als ich das erste Mal verliebt war, mein Leid als Hilfsmittel eingesetzt habe, um meinen Freund auf mich aufmerksam zu machen und an mich zu binden. Ohne mein Leid fühlte ich mich unwichtig, nicht ernst genommen und erhielt keine Aufmerksamkeit. Ich hoffte, mir durch meine Krankheit seine Liebe zu verdienen und ihn an meiner Seite zu behalten. Als er sich von mir trennte, konnte ich durch meinen Schmerz einen Liebesbeweis erbringen.

Dieser Zusammenhang zwischen Krankheit und Aufmerksamkeit hat sich seither wie ein roter Faden durch mein Leben gezogen und so ist es kein Wunder, dass mein gesundheitlicher Zustand mich gezwungen hat, mir selbst diese Aufmerksamkeit zu schenken und dem Ganzen auf den Grund zu gehen. Unterbewusst wollte ich nie wirklich gesund werden. Denn es ist tatsächlich deutlich schwieriger und langwieriger, gesund zu werden, als krank.

Wenn wir ganz ehrlich zu uns selbst sind, kennen wir das alle: Werden wir nicht alle gern getröstet, umsorgt, gepflegt und gefragt, wie es uns geht? Freuen wir uns nicht, wenn uns jemand sein Ohr leiht, sich unsere Krankheitsgeschichte anhört, sorgenvoll Fragen stellt und Tipps gibt? Durch unsere Krankheiten werden wir sichtbar und interessant, erleben Mitleid, Mitgefühl und Zuneigung. Und so ist es nicht verwunderlich, dass wir unsere Gesundheit diesen Vorteilen opfern. Es gibt sogar so etwas wie eine Sucht nach Traurigkeit – und wir alle kennen sie.

Lasst uns also anerkennen, dass auf dieser Ebene Krankheit durchaus einen Sinn ergibt. Sie fordert Aufmerksamkeit ein.

Der gesunde Weg aus dem Dilemma

Was aber wäre, wenn wir diesem Ruf nach Aufmerksamkeit auf eine gesunde Weise folgen würden? Wäre es nicht besser, wir würden – statt Krankheit in Kauf zu nehmen – einen Weg finden, der uns auf dem Weg der Genesung wirklich voran bringt?

Dazu ist es notwendig, dass wir uns dieses Teufelskreises bewusst werden, denn nur so können wir ihn durchbrechen.

Wie können wir Gesundheit erwarten, wenn wir doch unbewusst gar nicht gewillt sind, die Krankheit loszulassen?

Wir können unsere Gedanken beobachten und schauen, wie unser Körper darauf reagiert. Was wir denken und glauben, wird zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.

Und wir können beginnen, genauer hinzuschauen und darauf zu achten, was wir wirklich brauchen. Ist es die Aufmerksamkeit anderer oder ist es unsere eigene Aufmerksamkeit uns selbst gegenüber? Wenn wir wirklich achtsam und aufmerksam sind, hören wir auch die Signale unseres Körpers und verstehen, wie sie entstanden sind und was sie uns sagen wollen.

Das Mitleid der anderen bedient nur unser Ego. Und das steht uns in unserem ehrlichen Umgang mit uns selbst immer im Weg. Das zu erkennen ist schon der erste und wichtigste Schritt raus aus dem Leiden. Wenn wir mutig genug sind, uns unseren Dämonen zu stellen und die unbequeme Wahrheit anzuerkennen, können wir unseren Weg in die heilsame Genesung antreten.

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